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Liebe kleine Therese,

ich war siebzehn Jahre alt, als ich Eure Autobiographie las.

Wie ein Blitz schlug sie bei mir ein.

„Geschichte einer Frühlingsblume habt Ihr sie genannt. Mir schien sie die „Geschichte eines Brecheisens“ zu sein. Willenskraft, Mut und Entschlossenheit sprachen aus ihr. Als Ihr einmal den Weg der vollkommenen Hingabe an Gott gewählt hattet, da konnte nichts mehr Euren Lauf hemmen, weder Krankheiten, noch äußere Widerstände, noch inneres Dunkel. […]

Ihr habt Euch der barmherzigen Liebe Gottes als Opfer angeboten. Doch das hindert Euch nicht, Euch an den schönen und guten Dingen der Welt zu freuen. Vor der Erkrankung habt Ihr gern gemalt, habt Gedichte verfasst und kleine religiöse Theaterstücke, und die eine oder andere Rolle daraus habt Ihr mit schauspielerischem Talent gespielt. Während der Krankheit batet Ihr in einem Augenblick der Besserung um Schokoladenplätzchen. Ihr hattet keine Angst wegen Eurer Unvollkommenheiten, auch nicht, weil Ihr manchmal einschlieft während der Betrachtung. („Die Kinder gefallen den Müttern auch, wenn sie schlafen“). In der Liebe zum Nächsten wart Ihr darauf bedacht, unbeobachtet kleine, unscheinbare Dienste zu leisten und wenn möglich die Mitschwestern vorzuziehen, die Euch unsympathisch waren und nicht so veranlagt waren wie Ihr. Hinter Ihrem weniger sympathischen Gesicht suchtet Ihr das Antlitz Christi. Niemand merkte etwas davon.[...]

Kleine Therese, die Liebe, die Ihr Gott entgegenbrachtet (und aus Liebe zu Gott dem Nächsten), war wirklich Gottes würdig. So muss unsere Liebe sein: eine Flamme, die sich nährt von allem, was in uns groß und schön ist, und die alles ablehnt, was in uns aufbegehren will; ein Sieg, der uns auf seinen Flügeln empor trägt und als Geschenk Gott zu Füßen legt.

 

Aus: Albino Luciani, Ihr ergebener Albino Luciani, Briefe an Persönlichkeiten, Verlag Neue Stadt, München, S. 151 - 157

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